Wer oder was fehlt? Belegärzt*innen gesucht! – Kreißsaal in Dillenburg in der Krise

Geburtshilfe muss wohnortnah sein / Foto: JESHOOTS.com auf pexels.com

Anfang Juli beschloss der Kreistag Lahn-Dill wegen heftiger Proteste von Bürgerinnen und Beschäftigten, seinen ursprünglichen Plan der Schließung des Kreißsaales an der Lahn-Dill-Klinik in Dillenburg vorerst nicht umzusetzen. Der Aufsichtsrat schloss sich dem an und beauftragte die Geschäftsführung des Krankenhauses, Alternativen zu prüfen. Die in Windeseile umgesetzte Kundgebung von ver.di, dem Landesverband der Hessischen Hebammen e.V, dem Beleghebammenteam aus Dillenburg und weiteren Unterstützer*innen hatte Wirkung gezeigt. Der klammheimlich gefasste Beschluss, den Kreißsaal zum 31.12.2022 zu schließen, ist vorerst abgewendet.

Als Grund für die zunächst als alternativlos angesehene Schließung wurde die Kündigung einer von drei Belegärzt*innen angegeben. Die beiden verbliebenen Mediziner sind 63 beziehungsweise 70 Jahre alt. Die Geschäftsleitung gibt an, bei der Suche nach einem Belegarzt erfolglos gewesen zu sein. Allerdings erscheint die Suche nicht sonderlich engagiert verlaufen zu sein. Recherchiert man die Ausschreibung, findet man wenig. Angesichts der Kapitalisierung des Krankenhausgeschäfts könnte eine Geburtenzahl von rund 500 im Jahr die Geschäftsführung dazu bewogen haben, die unrentable Abteilung abzustoßen. Ökonomen fordern immer wieder die Zentralisierung von Krankenhäusern, und viele weitere Player in der Gesundheitswirtschaft und in der Politik folgen diesem Vorschlag.

Bei den Lahn-Dill-Kliniken handelt es sich um das zweitgrößte kommunale Krankenhaus in Hessen. Landrat Wolfgang Schuster (SPD) ist zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der kreiseigenen Klinik. Er sagte in der Kreistagsdebatte: „Ich kann mir keine Frauenärzte backen.“ Das ist wohl wahr, aber fehlen tatsächlich Ärzt*innen oder fehlen die Anreize eines guten Arbeitsplatzes? Oder das Interesse an einer erfolgreichen Akquise? Oder fehlt der politische Wille, ökonomische Überlegungen an die zweite Stelle und dafür die Daseinsvorsorge an die erste Stelle zu setzen? Fehlt es eher an Investitionswillen, eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung mit Geburtshilfe aufrecht zu erhalten?

Die angedachte Schließung des Kreißsaales wird auch damit begründet, dass die in der AWMF-Leitlinie zu „Mindestanforderungen an prozessuale, strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für geburtshilfliche Abteilungen“ geforderte Residenzpflicht einer Belegärzt*in nicht gewährleistet werden könne. Eine Vorgabe der sogenannten Qualitätssicherung besagt, dass ein/e Arzt/Ärztin innerhalb von zehn Minuten im Notfall in der Klinik sein muss. Den gebärenden Frauen werden jedoch Autofahrten von dreiviertel Stunden zugemutet. Sogar mit Wehen. Entweder nach Wetzlar oder sogar in ein anderes Bundesland, nach Siegen. Eine Geburt auf der A 45 ist sicher nicht erstrebenswert und unter Qualitätsgesichtspunkten nicht zu befürworten.

Die Zentralisierung geburtshilflicher Abteilungen an wenige große Kliniken wird systematisch vorangetrieben. Leider haben die verbleibenden Kreißsäle weder das Personal noch die räumlichen Kapazitäten die zusätzliche Arbeitslast aufzunehmen. Von der im Koalitionsvertrag angekündigten 1:1-Betreuung ist man dort Lichtjahre entfernt. Die Abschaffung kleiner, familiärer Kreißsäle ist ein großer Verlust für die gebärenden Frauen und für die Hebammen, die sich für eine frauenorientierte, individuelle Geburtshilfe einsetzen und einen Großteil ihrer Berufszufriedenheit daraus beziehen. Das Aus kleiner bis mittelgroßer Kreißsäle bedeutet auch, dass noch mehr Hebammen aus der Geburtshilfe aussteigen, denn nicht jede möchte in einem Perinatalzentrum arbeiten.

Das Beleghebammenteam der Lahn-Dill-Klinik in Dillenburg will jedenfalls für den Erhalt der Abteilung kämpfen. Der Landesverband der Hessischen Hebammen e.V. wird sie gemeinsam mit ver.di dabei mit allen Kräften unterstützen. Der Landesfrauenrat und der Landfrauenverband haben ebenfalls ihre Solidarität bekundet. Frauen und Familien brauchen Geburts- und Hebammenhilfe flächendeckend und wohnortnah. Dafür stehen wir ein!

Ihre
Martina Klenk
1.Vorsitzende des Landesverbandes der Hessischen Hebammen e.V.